Politische Themen in ver.di publik
Immer wieder - zuletzt in VERDI.PUBLIK 8-2015 der Kollege Baalhorn - beklagen sich Leser darüber, dass "eine Gewerkschaft sich ... mit politischen Themen" befasst und meinen, sie sollte sich nur mit "den arbeitsrechtlichen Belangen ihrer Zielgruppe befassen".
Dem ist entgegenzuhalten, dass es mehr und mehr politische Entscheidungen sind, welche Einkommensverluste der Arbeitnehmer zur Folge haben, Entscheidungen, die gar nicht dem Arbeitgeber in seiner Funktion als Tarifpartner zuzurechnen sind. Nur drei Beispiele: Ausgliedern von Unternehmensbereichen in Billigtöchter zwecks Tarifflucht und Lohnsenkung, Privatisierungen im Bereich der Daseinsvorsorge oder Einfrieren des Beitragsanteils der Arbeitgeber zur Krankenversicherung mit der Konsequenz, dass alle Beitragssteigerungen nur noch von den Arbeitnehmern zu bezahlen sind.
Nichts davon kann Gegenstand von Tarifverhandlungen sein. Vielmehr haben es die Arbeitgeber mit erfolgreicher Lobby-Arbeit vermocht, hierzu politische Entscheidungen in ihrem Sinne herbeizuführen. Auch der Kampf um den – sehr bescheidenen – Mindestlohn konnte nicht als arbeitsrechtliche oder Tarifauseinandersetzung geführt werden, sondern musste auf der politischen Bühne erfolgen und die noch bevorstehende Zunahme katastrophaler Altersarmut (für viele schon heute bittere Realität) ist politischen Entscheidungen geschuldet, z. B. Rentenabsenkung durch demografischen Faktor, private Vorsorge-Modelle (die außer den Versicherungsunternehmen kaum jemandem nutzen), Absenkung des Rentenniveaus auf 43 % etc.).
Eben dies habe ich auch in einem Leserbrief auf eine ähnliche Kritik in der Süddeutschen Zeitung im Zusammenhang mit unserem letzten Bundeskongress geschrieben und hinzugefügt: "Die Verdi-Kollegen liegen also richtig, wenn sie nicht mehr nur die Tarifauseinandersetzungen mit den Arbeitgebern führen, sondern auch politische Fehlentwicklungen bekämpfen wollen ... ich wünschte, sie würden sich angesichts von Finanzkrise und zunehmender Armut endlich auch der Systemfrage widmen!" (SZ vom 5. Okt. 2015)
Viele Grüße aus München, Bernd Schröder, Mitglied im Landesseniorenausschuss und Landesfachbereichsvorstand FB 13 in Bayern
Leserbrief zu „Nur noch kurz die Welt retten“
von Bernd Schröder
Detlef Esslinger kritisiert mit harten Worten („was für ein Irrsinn“), dass Verdi-Gewerkschafter „nicht nur hinter den Werkstoren“ aktiv sein wollen und nennt derlei „allgemeines Agitieren und
weltpolitische Laberei“ von „Graubärten“, welche „lieber weiterhin AStA spielen, als ernsthaft um Mitglieder zu werben“.
Aber leider erklärt er nicht, hinter welchen Werkstoren und mit welchen Arbeitgebern denn verhandelt werden soll, wenn Einkommensverluste der Arbeitnehmer gar nicht dem Arbeitgeber in seiner
Funktion als Tarifpartner zuzurechnen sind. Nur drei Beispiele: Ausgliedern von Unternehmensbereichen in Billigtöchter zwecks Tarifflucht und Lohnsenkung, Privatisierungen im Bereich der
Daseinsvorsorge oder Einfrieren des Beitragsanteils der Arbeitgeber zur Krankenversicherung mit der Konsequenz, dass alle Beitragssteigerungen nur noch von den Arbeitnehmern zu bezahlen
sind.
Nichts davon kann Gegenstand von Tarifverhandlungen sein. Vielmehr haben es die Arbeitgeber mit erfolgreicher Lobby-Arbeit vermocht, hierzu politische Entscheidungen in ihrem Sinne
herbeizuführen. Auch der Kampf um den – sehr bescheidenen – Mindestlohn konnte nicht als Tarifauseinandersetzung geführt werden, sondern musste auf der politischen Bühne erfolgen.
Mehr und mehr sind es politische Entscheidungen, die Einkommensverluste der Arbeitnehmer zur Folge haben. Gleiches gilt für Seniorinnen und Senioren, deren Interessen Verdi ebenfalls vertritt,
Stichwort Rente mit 67 oder Absenken des Rentenniveaus auf anvisierte 43 % des Lohnes.
Die Verdi-Kollegen liegen also richtig, wenn sie nicht mehr nur die Tarifauseinandersetzungen mit den Arbeitgebern führen, sondern auch politische Fehlentwicklungen bekämpfen wollen. Von mir aus
auch gerne, wenn es gilt die Welt zu retten; ich wünschte, sie würden sich angesichts von Finanzkrise und zunehmender Armut endlich auch der Systemfrage widmen!
(Zu einem Beitrag von Detlef Esslinger in der Süddeutsche Zeitung vom 23.9.2015)
Leserbrief zu „Größte Demo seit 2003“
von Inge Leha-Castner
Als eine der vielen zehntausend Teilnehmerinnen an der Demo gegen TTIP am 10. Oktober 2015 in Berlin - die bisher größte Demo gegen TTIP in Deutschland - bin ich stolz darauf, dass sich so
viele Menschen aus unterschiedlichen Gruppen wie Gewerkschaften, Kirchlichen, Umweltverbände, Bauern, Ärzten, Parteien, attac … zusammengefunden haben, um ein starkes Signal der Bürger zur
Ablehnung des neoliberalen Großprojektes zu setzen. Denn drei Tage vorher wurde der EU-Kommission in Brüssel über 3 Millionen Unterschriften gegen TTIP und Ceta überreicht, von einer echten
Initiative europäischer Bürger und Bürgerinnen (übrigens von der EU-Kommission nicht zugelassen), die innerhalb nur eines Jahres gesammelt wurden.
Berührend und ermutigend war, dass auch viele junge Menschen mit ihren Kindern gekommen waren, teils in Bollerwagen und Kinderwagen oder auf Fahrrädern, um ebenfalls ihren Protest auszudrücken.
Uns alle eint die Befürchtung, dass TTIP hauptsächlich den Konzernen dient und wir Bürger massive Nachteile dadurch erleiden werden. Es soll nur eines der vielen Beispiele erwähnt werden:
Grundsätzlich sollen alle Dienstleistungen liberalisiert werden, wenn nicht ausdrückliche Ausnahmen gemacht werden. Ungeahnte Risiken beinhalten auch die „Investorenschutzklauseln“; d. h.
Investoren bekommen die Möglichkeit, sich einzuklagen, wenn sich etwa eine Stadt oder Gemeinde weigert, öffentliche Dienstleistungen an private Firmen zu vergeben. Entschädigungsklagen mit
horrenden Forderungen können die Folge sein. Bildung, Wasserversorgung, Gesundheit, soziale Absicherung und Altenpflege könnten so leicht zum Gegenstand von Investorenklagen werden. Zu den
Bereichen, die von der Wirtschaft besonders ins Visier genommen werden, gehört der Gesundheitssektor. Der Interessenverband der amerikanischen Gesundheitsindustrie AHC übt bereits massiven Druck
aus, um den Sektor so weit wie möglich für die Privatwirtschaft zu öffnen.
Um solche Szenarien zu verhindern, muss der Protest weitergehen. Der Widerstand muss wachsen, und ich hoffe, dass sich noch mehr Menschen dessen bewusst werden und sich aufmachen, um die
europäische Bürgerbewegung gegen TTIP, Ceta und Tisa zu verstärken, um die Abkommen letztendlich zu stoppen!
(Zu einem Beitrag in den Nürnberger Nachrichten vom 12.10.2015)